„Ich glaube, ich mutiere“ heißt es in Mara Mattuschkas aktuellem Stück „Die Inseln des Doktor Moreau“. Eine Phrase, die entfernt an das berühmte „Oh ich sterbe“ und jenes „mich dünkt, …“ alter Dichtung erinnern mag. Sei die Assoziation, gewollt oder nicht, sie bleibt nicht die einzige, die sich im Laufe des rund 105-minütigen Stückes einstellt. Auf der Bühne des TAG (Theater an der Gumpendorferstraße) mutiert im übertragenen Sinne so einiges: Schauspieler schlüpfen unter den Augen der Zuseherinnen und Zuseher in immer neue Rollen (bis zu sieben Charaktere werden am Abend von einem Schauspieler zum Leben erweckt), politische Ismen vermischen sich mit wissenschaftlichen und literarischen Utopien und der Mensch verwandelt sich erneut zum Tier nachdem er davor unter den Eingriffen des größenwahnsinnig gewordenen Wissenschaftlers Doktor Moreau – sehr frei nach H.G. Wells wie das Stück im Untertitel heißt – chirugirsch zum Menschen „optimiert“ wurde.

Nicht das erste Mal, dass sich die multimedial arbeitende Künstlerin auf ein Werk des berühmten englischen Schriftstellers bezieht. Bereits in ihrem Gemälde „Morlocks“ referenziert sie auf ein utopisches Menschenbild Wells‘.
Wie auch in ihrem malerischen Werk erscheint der Mensch auf der Bühne als ein oftmals ins Groteske verzerrtes Wesen – unfertig, unzulänglich und gerade deshalb geheimnisvoll. Verrenkte Gliedmaßen, Gesichter hinter Masken, Travestie-Elemente und übertriebene Gesten, die an alte Stummfilme erinnern, durchziehen den Abend. Gelegentlich agieren die Schauspieler (durch die Bank großartig) in gummiartigen und slapstickhaften Bewegungen wie sie im Trickfilm zu finden sind. Stets begleitet vom dazu passenden Sound. Die Palette reicht vom stimmungsvollen Urwaldgezwitscher zu Beginn bis zur durch eine Rohrleitung verzerrte Stimme Genosse Stalins.

Stalin und Brando sind auch mit von der Partie

Der sowjetische Diktator spielt in Mattuschkas Adaption des Wellschen Buches eine besondere Rolle. Vom Gedanken an den genetisch veränderten Menschen beflügelt begibt auch er sich auf die geheimnisvolle Insel, die uns Wells in seinem drei Mal verfilmten phantastischen Roman schildert. Unter einem zum Seestern mutierten Sowjetstern möchte er den Autor überzeugen, ihn mit seiner Phantasiegestallt Moreau zusammenzubringen, um diesen für seine Experimente am Menschen zu gewinnen. Wells erkennt jedoch, noch von der Scham nach der Unzucht mit einem im stalinistischen Labor entstandenen Mensch-Affen-Hybriden gezeichnet, das Unheil, das sich in derlei Experimenten verbirgt.

Wie fast alle Figuren, die auf der Bühne einem Fiebertraum gleich in Erscheinung treten, scheint Wells immer wieder zwischen Faszination und Abscheu zu schwanken. Lediglich Marlon Brando, der in der Verfilmung von John Frankenheimer 1996 Doktor Moreau mimte, wirkt als schwebe er mit seinem Glamour à la Hollywood über den Dingen. In ihm lebt die Entrücktheit einer von den Medien hochstilisierten Ikone. Immer wieder trifft kommunistische Propaganda auf westliche Vermarktungsmechanismen. Parallelen zur modernen Medienwelt ergeben sich dadurch automatisch. Mutiert der moderne Mensch irgendwann zum „homini sapiens iphoni“ fragt Gernot Plass, künstlerischer Leiter des TAG im Programmheft. Wir wissen nicht wohin der Weg des Menschen führt, ein Abstecher ins TAG verspricht dieser Tage wenigstens beste Unterhaltung.

Die Inseln des Doktor Moreau
Uraufführung von Mara Mattuschka. Sehr frei nach H.G. Wells
Eine Koproduktion mit The Practical Mystery
Mit Alexander Braunshör, Johanna Orsini-Rosenberg und Julia Schranz

TAG (Theater an der Gumpendorfer Straße)
Gumpendorfer Straße 67
1060 Wien
Tel: +43 / 1 / 586 52 22
Noch zu sehen am Di 8. (im Anschluss Publikumsgespräch), Mi 9., Do 10., Fr 11., Sa 12., Mo 14. + zum letzten Mal Di 15.11.2016, 20.00 Uhr
http://dastag.at

Geschrieben von Sandra Schäfer